Wie gehen Kinder und Jugendliche mit Porno- und Gangsterrap um? Diese Frage hat die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) gestern in München im Rahmen eines Expertenhearings diskutiert. Anlass war eine Reihe von Prüffällen, die sich in jüngster Zeit auf Songs von Rappern wie Sido, Bushido, Frauenarzt oder King Orgasmus One bezogen. Dazu kamen Titel von Nachahmern, also Inhalte, die im Internet von Jugendlichen selbst auf Video-Plattformen oder HipHop-Foren eingestellt worden waren. „Um fundiert auf Entwicklungen in den Medien reagieren zu können, holt sich die KJM auch immer wieder externen Rat und wissenschaftliche Einschätzungen“, so der KJM-Vorsitzende Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring.
Den Balance-Akt, den die KJM-Prüfer in dem Zusammenhang – also gerade bei der Bewertung neuer Medien-Phänomene – meistern müssen, beschrieb KJM-Mitglied Prof. Dr. Ben Bachmair in seinem Grußwort: „Es geht um das Gleichgewicht zwischen Kunst- und Informationsfreiheit – inklusive Akzeptanz und Verständnis für jugendkulturelle Ausdrucksformen – auf der einen Seite und der Verantwortung Kindern und Jugendlichen gegenüber auf der anderen Seite.“
Die Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen hob Prof. Dr. Hans-Bernd Brosius, Dekan der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität und Kommunikationswissenschaftler mit dem Schwerpunkt empirische Kommunikationsforschung, hervor. Er hält besonders die „Kultivierungsaspekte“ von Pornografie für gefährlich: „Unsere Studien haben ergeben, dass sich bei Menschen, die regelmäßig Pornografie konsumieren, die Vorstellungen von Partnerschaft im realen Leben verändern.“ Seiner Meinung nach lassen sich gewisse Erkenntnisse aus der Pornografie-Forschung auf diese Songs übertragen: „Porno- und Gangsterrap ist kritisch zu sehen, da sich dadurch bei Kindern und Jugendlichen problematische Einstellungen zur eigenen Partnerschaft und zur eigenen Sexualität entwickeln können.“
Porno- und Gangsterrap als eine Form der Rebellion gegen die Erwachsenenwelt – so erklärte der Psychologe Lazlo Pota aus Hamburg die Faszination dieses Genres für Kinder und Jugendliche. „Schon immer waren bestimmte Rituale, Mythen und Protest Initiationsmerkmale des Wechsels vom Jugend- ins Erwachsenenalter.“
Auch der Medienpädagoge Prof. Dr. Uwe Sander von der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld, hält Pornorap an sich für nichts Neues: „Solche Songs sind ein Konzentrat tradierter Formen von Provokation und Abweichung. Problematisch ist dabei allerdings, dass das Künstlerische, das Ironisierende daran oft nicht verstanden wird.“ Dazu komme, dass Porno- und Gangsterrap-Songs „mehr als nur Worte“ seien. Es gebe vielmehr eine „realitätsstiftende Kraft von Liebes-Semantik, also auch von den Lyrics in HipHop-Liedern“. Und so zog Sander den Schluss: „Deshalb können bestimmte Raps entwicklungsgefährdend sein.“
Die Gender-Forscherin Prof. Dr. Paula-Irene Villa von der Fakultät für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität in München sah das anders. Sie konstatierte: „Porno- und Gangsterrap sind angemessene Artikulationen von jungen Menschen in harten, durchökonomisierten Zeiten.“
Eine ähnliche Haltung vertrat Klaus Farin, Autor und Leiter des Archivs der Jugendkulturen in Berlin. „Musikmedien sind nicht die Ursache bestimmter Verhaltensweisen, sondern eher ein Seismograph für die Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen.“ Allerdings steht für ihn auch fest, dass Rap-Songs „vorhandene Einstellungen verstärken“ können. Sein Vorschlag: „Die beste Waffe gegen Inhalte, die uns stören, ist die Förderung des Gegenteils, also in dem Fall von toleranter Musik.“
Mit Medienpädagogik alleine ist es nicht getan – das hielt Verena Weigand, die Leiterin der KJM-Stabsstelle, die das Expertenhearing moderierte, fest: „Präventiver und restriktiver Jugendschutz müssen Hand in Hand gehen. Ziel des gesetzlichen Jugendmedienschutzes ist es dabei nicht, Kindern und Jugendlichen etwas zu verbieten. Ziel des Jugendmedienschutzes ist es vielmehr zu verhindern, dass Anbieter an problematischen Inhalten verdienen, die Kinder- und Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigen oder gefährden. Dazu können auch gewalttätige und pornografische Texte von Rappern gehören.“